#SBGG – Für echte Emanzipation statt spärlicher Selbstbestimmung!

Warum wir das #SBGG nutzen wollen, aber nicht feiern können.

Heute tritt das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Wie alle queeren Rechte wurde uns die Bestimmung über den eigenen Geschlechtseintrag nicht einfach geschenkt, war keine gesellschafliche Selbstverständlichkeit. Bis zuletzt mussten Aktivist*innen, trans Politiker*innen und Selbstvertretungsorganistationen hart darum kämpfen.
Bevor nun endlich Beamte im Standesamt Einträge korrigieren und richtige Urkunden ausstellen können – und müssen! – gab es jahrelangen aktivistischen Einsatz, unzählbar viel unbezahlte Bildungsarbeit und Aufklärung in den Medien. Niemals vergessen dürfen wir die Jahrzehnte an Ressourcen verschlingenden juristischen Auseinandersetzungen um das verfassungs- und menschenrechtswidrige Transsexuellengesetz (TSG).
Wir freuen uns mit allen, die nun in der nächsten Zeit ihre ersehnten Termine bei den Ämtern bekommen. Wir begrüßen diesen Schritt der Abkehr von einem pathologisierenden, paternalistischen, psychologisch übergriffigen Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt. Wie viel Verstecken und Verstellen, wie viel Verachtung wäre den Betroffenen erspart geblieben, wenn der deutsche Staat die simple Tatsache anerkannt hätte, dass jeder Mensch selbst am besten weiß, mit welchem Geschlecht er sich identifiziert – oder eben nicht?

Und doch gesellt sich zur Freude auch Skepsis, Sorge und Wut.

Skepsis, ob wir weiter Prozesse führen müssen gegen Behörden, die gleich wieder neue Hürden und Einschränkungen aufbauen wollen, gegen Unternehmen, die sich der Gleichbehandlung widersetzen und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unterlaufen wollen. 
Sorge, dass antifeministische, queerfeindliche Akteur*innen in den Medien weiter ihre Verleumdungskampagnen vorantreiben und das Rad wieder zurück drehen wollen. 
Und Wut über all die Lücken, die in das Gesetz gerissen wurden, über den fehlenden gesetzlichen Anspruch auf gute Gesundheitsversorgung, über die fehlende Anerkennung und Entschädigung für all das Leid, das mit dem TSG verübt wurde.

Die Warte- und Sperrfristen atmen weiterhin den Geist von Pathologisierung und staatlicher Kontrolle, insbesondere für inter Menschen bedeuten sie einen rechtlichen Rückschritt. Antifeministisch geschürtes Misstrauen äußert sich in Hürden für nicht volljährige und nicht geschäftsfähige Personen. Statt Selbstbestimmung werden hier Abhängigkeitsverhältnisse zementiert.
Die Erfindung des „militärischen Geschlechts“ ist genauso abzulehnen wie die fortgesetzte Ausgrenzung von staatenlosen Personen und Menschen ohne unbeschränkten Aufenthaltstitel. Selbst wenn diese schon seit Jahrzehnten in Deutschland leben, gar hier geboren sind, dürfen sie das SBGG nicht für sich nutzen.
Eine ausführlichere Darstellung verschiedener Kritikpunkte findet ihr zum Beispiel hier. Die Gruppe „Selbstbestimmung selbst gemacht“ hat sich daher daran gesetzt, einen eigenen Gesetzestext zu entwickeln.

Auf rechtlicher Ebene müssen neben diesen Einschränkungen auch weitere problematische Regelungen abgeschafft werden. Das Abstammungsgesetz muss reformiert werden, alle Eheprivilegien gehören abgeschafft. Alle Familien haben Anrecht auf Unterstützung, egal ob sie anachronistischen religiösen Normen entsprechen oder nicht. Unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Pass und ihrem Kontostand sollen alle Menschen frei und sicher leben können – bis das soweit ist, gibt es für uns alle noch viel zu tun!

Wir wollen nicht bloß korrekte Papiere und richtige Ansprache.

Wir haben eine Utopie, die weit darüber hinaus reicht: wir wollen Geschlecht als hierarchische Kategorie entmachten. Wir wollen es als Mittel zu Kontrolle, Unterdrückung, als Instrument fremdbestimmter körperlicher und sozialer Zurichtung und Normierung in Frage stellen. Und das meinen wir nicht rein diskursiv, sondern auch praktisch. Nutzt eure Rechte, wo Gesetze das erlauben, und brecht diese, wo sie euch brechen wollen. Befreien wir uns von den Fesseln der Norm. Verqueert euer Leben, statt euch für Staat, Nation oder Patriarchat verwerten zu lassen.

Egal ob ihr cis oder trans seid – lasst eure Einträge ändern, probiert neue Namen aus, oder streicht einfach den Geschlechtseintrag aus dem Register. Zusammen werden wir die staatliche Genderkontrolle korrumpieren, die erzwungene Zuordnung unterlaufen. Denn wir wollen kein warmes Plätzchen in der Frauensauna, sondern die ganzen engen Geschlechternormen in Brand setzen!