Unser Kommentar zu den jüngsten Entwicklungen bei der Einstufung von öffentlichen queeren Versammlungen durch die Behörden.
Diesen Sommer traf es die Abschlusskundgebung des CSD in Stendal, nächstes Jahr könnte auch in Dresden die queere „Feiermeile“ beim CSD das gleiche Schicksal ereilen: nicht mehr als Versammlung nach Art. 8 GG zu gelten, sondern als stinknormales Straßenfest unter vielen.
Das klingt für alle, die dem Event-Charakter des hiesigen CSDs kritisch gegenüber stehen, zunächst nach keiner großen Neuigkeit. Schon viel eher als die Verwaltungsebene stellten sich linke queers die Frage – nicht nur in Dresden – wohin die schleichende politische Entkernung noch führen soll.
Dennoch trifft die Debatte weit mehr als nur einen einzelnen Termin im weit gefächerten queeren Jahreskalender. Uns liegt es fern, für den CSD Dresden in die Bresche zu springen. Doch genau wie bei unserer Stellungnahme zum Entwurf für ein neues sächsisches Versammlungsgesetz geht es uns darum, unser Versammlungsrecht gegen jeden Versuch der Aushöhlung zu verteidigen.
Wie die Lokalpresse berichtete, plant das Ordnungsamt, einen Teil der öffentlichen Veranstaltungen nicht mehr als politische Versammlung zu bewerten. Damit verbunden wären voraussichtlich mehr Auflagen für die Organisation und höhere Kosten für den CSD Dresden e.V. – aber auch zum Beispiel die Möglichkeit, Alkoholausschank genehmigen zu lassen.
Wir wollen zu den Presseberichten ergänzen, dass der CSD Dresden nicht das erste Ziel solcher Auffassungen der Dresdner Stadtverwaltung ist. Bereits 2021 bei der ersten Pride gab es entsprechende juristische Umdeutungsversuche. Anders als jetzt bei der Diskussion mit dem CSD hatte uns das Ordnungsamt aber erst vier Tage vorher deswegen angeschrieben und uns einen (1!) Tag Zeit für eine Anhörung gegeben. Wir waren dadurch gezwungen, in kürzester Zeit eine ausführliche Stellungnahme zu verfassen, um eine Absage des Programms zu verhindern.
So viel zu den Hintergründen, doch was sagen wir als Queer Pride Dresden zu den Auffassungen der kommunalen Verwaltung?
Auch vor zwei Jahren war unsere Position klar: Eine öffentliche, nicht versteckte und selbstbestimmte queere Präsenz trägt immer einen politischen Aspekt in sich. Diese Präsenz – egal in welcher Form, ob als militantes Straßenfest, als familienfreundlicher Riot oder als Queer Pride Demonstration – ist immer auch ein Akt des Aufbegehrens gegen reaktionäre Kräfte. Es ist praktisch gelebter Widerstand gegen alle, die Sexualität, Begehren, Geschlecht in das Private verbannen oder – gerade wenn es um Minderheiten geht – gleich ganz verbieten wollen.
Schon die Auswahl der Personen auf der Bühne an sich ist eine politische Geste. Der „kommunikative Akt“, der Versammlungen nach Art. 8 GG ausmacht, kann sich nicht nur über Inhalte, sondern auch und insbesondere in der Form manifestieren. Für uns ist klar: ein Grußwort eines nicht-queeren Bürgermeisters trägt zu einem „politischen Charakter“ weit weniger bei, als der Ansatz, denen eine Plattform zu geben, die sonst wenig Plattformen haben. Marginalisierte Gruppen brauchen Räume, um sich an der öffentlichen Meinungsbildung – und dazu gehört auch das kulturelle Leben – zu beteiligen. Wenn diese aufgrund formaljuristischer enger Auslegungen verhindert oder in kommerzialisierbare Bahnen gelenkt werden soll, ist dies wirklich ein Angriff auf die Versammlungsfreiheit.
Wie sind nun die aktuelle Debatte und die öffentlich diskutierten Lösungsvorschläge zu bewerten?
Ins Spiel gebracht wurde die Idee, dass doch die erhöhten Kosten für die Anmeldung und Genehmigung als Straßenfest durch eine entsprechend höhere Förderung für den Verein ausgeglichen werden könnten. Finanziell gesehen wäre das für die Stadt und den CSD Dresden e.V. – zunächst – ein Nullsummenspiel. Es ist aus unserer Sicht aber keine Lösung, wenn sich die Stadt auf diesem Wege von der Kritik aus der queeren Community und dem Verein freikauft.
Erstens schafft das eine Abhängigkeit vom Wohlwollen der Verwaltungsspitze. Fördermittel können schnell wieder gekürzt werden, gerade wenn die Kommunalwahlen vorbei sind oder die Queerness nicht feiernd und fröhlich, sondern fordernd und frech auf die Straße geht. Und wenn die Stadt knapp bei Kasse ist, hilft vermutlich auch die erneute Verleihung eines Toleranzpreises an die Stadtspitze nicht mehr dabei, städtische Projektgelder einzuwerben. Für viel Geld feiern kann unser OB im Rathaus ohnehin auch ganz ohne queeren Anstrich, dafür zusammen mit der AfD-Fraktion.
Zweitens wäre damit ein bedenklicher Präzedenzfall geschaffen. Das Vorgehen könnte auch gegen andere Initiativen wie z.B. die Queer Pride in Stellung gebracht werden. Politisch widerständigere und gerade dezidiert antikapitalistische Prides können sich die Gebühren für eine solche Genehmigung nicht leisten. Sie werden oft nicht extra gefördert, wollen oder können keine Sponsoring-Knete aus der Wirtschaft einwerben (was in Ostdeutschland sowieso nicht ganz einfach ist) und haben vielleicht keine Lust, sich über Standgebühren für Bierbuden usw. zu refinanzieren. Zudem wird damit die Einstiegshürde immer höher: DIY-Prides wie in kleineren Städten Sachsens oder stadtteilbezogene Versammlungen könnten damit unmöglich werden.
Dazu kommt, dass „Sondernutzungen“ eine Genehmigung von der Stadt brauchen, anders als Versammlungen. Diese Genehmigung kann auch einfach versagt werden. Das mag in einer sich liberal gebenden Großstadt nicht wie ein drängendes Problem wirken. Es lässt sich allerdings leicht ausmalen, was ein potentieller rechtsextremer Bürgermeister in einer sächsischen Kleinstadt mit einem solchen Instrument anstellen kann. Wir wissen, mit welchen bürokratischen Schwierigkeiten queere Demonstrationen in Riesa, Döbeln usw. bereits jetzt zu kämpfen haben.
Drittens sehen wir die klare Gefahr, dass die postulierte „Unpolitischkeit“ durch diese neuen normativen und organisatorischen Grenzen zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird. Damit wäre eine wichtige Möglichkeit für queere Menschen, selbstbewusst und selbstbestimmt in die Öffentlichkeit zu treten, empfindlich eingeschränkt.
Unser Fazit:
Wir fordern ganz klar: Die Entscheidung, welche Art von Versammlung oder Veranstaltung für öffentliche queere Anlässe am besten passt, muss bei den queeren Organisator*innen liegen und nicht bei Behörden. Die Diskussion über politischen Anspruch und Inhalte ist wichtig. Die gegenseitige Kritik und der Austausch darüber muss aber in der queeren Community stattfinden und darf nicht über behördlich beauftragte Rechtsgutachten erfolgen!