Zum internationalen Tags der nichtbinären Menschen gab es am 14.07. eine Kundgebung in Dresden. Über den Nachmittag verteilt beteiligten rund 100 Personen an der Versammlung. Wie bereits in den letzten zwei Jahren wurde der Anlass genutzt, um in der Öffentlichkeit über strukturelle und individuelle Diskriminierung aufzuklären und Auswege daraus einzufordern. Außerdem ging es um die Unterstützung und Vernetzung untereinander. Nicht zuletzt war die Kundgebung auch der Rahmen für einen live-Auftritt von Tannu 161.
Als Queer Pride haben wir den folgenden Redebeitrag zu der Kundgebung beigesteuert:
Hi, ich bin von der Queer Pride Dresden.
Ich bin nichtbinär und benutze im Deutschen alle Pronomen. Das ist eigentlich schon nur ein mittelmäßig zufriedenstellender Lösungsansatz, weil es im Deutschen halt nicht so etablierte neutrale Pronomen gibt wie das englische they/them. Ich dachte, alle Pronomen zu verwenden ist für die Menschen um mich herum auch die einfachste Lösung, insbesondere für die cis Menschen, die selbst wenig bis keine Erfahrungen mit nichtbinärer Identität und Dysphorie und so weiter haben.
Diese Pronomen benutze ich jetzt mehr oder weniger in dieser Form seit etwa 1,5 Jahren und habe inzwischen einiges an Erfahrungen gesammelt. Meine Wahrnehmung ist, dass viele cis Menschen hören, dass ich „alle Pronomen“ verwende und das dann auslegen als: Okay, dann kann ich mir eins aussuchen und immer das verwenden. Dazu habe ich schonmal mehrere Gedanken:
Erstens: Hä? „Alle“ sind mehr als eins. Wenn es mir egal wäre, wie man mich anspricht, würde ich das so sagen – „ist mir egal, such dir was aus“. Ist mir aber nicht egal, deshalb benutze ich mehr als ein Pronomenset.
Zweitens: Mir fällt immer wieder auf, dass cis Menschen sich dann, weil es am einfachsten für sie ist, für sie/ihr Pronomen entscheiden, weil sie mich weiblich lesen und mich dann einfach immer mit sie/ihr und weiblich gegenderten Begriffen ansprechen.
Mir ist klar, dass „sie/ihr“ in „alle Pronomen“ inbegriffen ist, und ich habe auch kein Problem damit, wenn Menschen diese Pronomen und weiblich gegenderte Formulierungen für mich benutzen. Aber ich denke, dass die cis Menschen um mich herum selbst nicht weiter darauf achten, mit welchen Pronomen sie angesprochen werden (weil es ja üblicherweise die richtigen sind) und dass sie dementsprechend gewaltig unterschätzen, wie sehr mir jedes Pronomen und jede gegenderte Anrede auffällt, die für mich verwendet wird, auch wenn ich nicht bewusst darauf achte. Ich merke, ob jemand hin und wieder unter anderem sie/ihr Pronomen für mich verwendet, oder ob die Person es sich (aus meiner Wahrnehmung heraus) einfach macht und das einfach immer so macht.
Ich merke das, weil es einen emotionalen Einfluss auf mich hat. Wenn immer nur sie/ihr Pronomen für mich verwendet werden, verletzt mich das, weil ich merke, dass mein Gegenüber mehr Wert darauf legt, es sich einfach zu machen als darauf, wie es mir mit dem Misgendering geht.
Mir wird dann öfter erklärt, dass meine Pronomen und meine Geschlechtsidentität für die cis Menschen um mich herum schwierig ist, und sie das nicht hinbekommen. MEINE Geschlechtsidentität ist für EUCH schwierig? Wir tian*s leben konstant mit genderqueeren Problemen wie Dysphorie (also dem Unwohl- und Nicht-Heimisch-Fühlen im eigenen Körper); der Suche nach einer Identität, die zu unserer Gefühlswelt passt; einer Außenwelt, die in so vielen Lebenslagen nicht auf uns angepasst ist (zum Beispiel durch gegenderte öffentliche Toiletten, an denen wir eine Entscheidung treffen müssen, oder durch jeden Brief der mit Herr / Frau so und so tituliert ist und so weiter) und Anfeindungen im öffentlichen Raum oder im Internet. Und zusätzlich leben wir dann noch mit Misgendering durch die cis Menschen um uns herum, die dann oft noch von sich sagen, dass sie trans* allies sind. Wenn ihr wirklich trans* allies sein wollt, dann kommt darauf klar, dass das nicht nur bedeutet, dass ihr einmal im Jahr auf der Queer Pride sagt, dass ihr voll okay findet, wenn Menschen trans* sind. Wenn euer trans* Aktivismus schon dort endet, wo ihr mal nachfragen und ein neues Pronomenset lernen müsst, dann können wir uns nicht auf euch verlassen.
Das hört sich jetzt erstmal hart an, aber Ally sein bedeutet in erster Linie, seine eigenen Verhaltensmuster zu reflektieren und umzustellen. Mein Ziel heute ist, dass die cis Menschen, die hier heute zuhören, hinterher nach Hause gehen und drüber nachdenken, wie sie praktisch mit den trans* Menschen um sie herum umgehen und was sie vielleicht noch lernen können.
Wenn euch eine Person ihre Pronomen nennt, und ihr nicht wisst, wie man diese Pronomen verwendet, dann fragt nach. Ich beantworte lieber 100 Fragen, wie ich gern angesprochen werden möchte, als konstant misgendert zu werden. Ich führe lieber ein aufklärendes Frage-Antwort-Gespräch, als wieder und wieder zu beobachten, dass Menschen mich misgendern, bis ich irgendwann nicht mehr vermeiden kann, sie darauf anzusprechen und dann in Diskurs zu gehen. Will heißen: Ich möchte mich nicht beschweren müssen, ich möchte nicht betteln müssen, ich möchte ernstgenommen werden und das am besten von Anfang an.
Ich möchte auch nicht mehr dauernd hören, wie schwierig meine Identität für die cis Menschen um mich herum ist. Ich merke langsam, dass das alles seine Spuren hinterlässt. Dass ich mich oft nicht mehr traue oder keine Kraft mehr habe, mein Umfeld zu korrigieren. Auch wenn mir jedes Pronomen und jede gegenderte Anrede auffällt und auch wenn es mir schlecht damit geht, wie eine Person mich anspricht bzw. über mich spricht. Ich merke langsam auch, dass ich ein schlechtes Gewissen habe, wenn Menschen die richtigen Pronomen benutzen, weil ich immer instinktiv denke, dass ich denen damit Riesen-Umstände mache.
Liebe cis Menschen: Egal, wie schwierig es für euch ist, unsere Pronomen zu lernen und zu verwenden – ich garantiere euch, für uns ist der Alltag als trans* Personen schwieriger. Nehmt uns diese eine kleine Last von den Schultern und respektiert unsere Pronomen ohne uns Vorwürfe zu machen oder zu jammern. Macht es euch nicht immer so einfach. Hört den Erfahrungen der tian*s um euch herum zu. Stellt euch mit euren Pronomen vor. Fragt euer Gegenüber nach deren Pronomen – nicht nur, wenn die Person sich androgyn präsentiert, sondern immer. Wenn ihr über eine Person sprecht, deren Pronomen ihr nicht kennt, nutzt neutrale Formulierungen und entweder keine Pronomen oder neutrale Neopronomen. Wenn ihr über nichtbinäre Personen schreibt, wie z.B. über Maja, dann achtet darauf, welche Pronomen ihr verwendet. Ich hab schon viele gut gemeinte Texte und viel Misgendering gesehen.
Außerdem: Informiert euch über Neopronomen und lernt, wie man sie verwendet, lest euch im Internet ein paar Beispielsätze durch. Erwartet nicht immer die ganze Aufklärungsarbeit von Betroffenen sondern informiert euch selbst. Schaut Dokumentationen und Reportagen, geht zu queeren Filmabenden, lest mal ein Buch. Wenn ihr unsicher seid, wie man die Pronomen eures Gegenübers verwendet, fragt nach und lernt was, statt euch für die einfachste Lösung für euch zu entscheiden. Nehmt eure genderqueeren Mitmenschen ernst, hört zu, schaut hin, redet mit uns, denkt mit. Kämpft auch mal Kämpfe für uns, führt die queerfeindlichen und die trans*feindlichen Debatten für uns. Ally sein ist mehr als nur zu sagen, dass ihr trans* sein okay findet. Ally sein muss praktisch sein.
Liebe Menschen von der TIAN*-Vernetzung: Danke vielmals für eure Arbeit. Danke, dass ihr euch dafür einsetzt, dass unsere genderqueeren Stimmen gehört werden, und dass ihr uns die Chance gebt, uns untereinander kennenzulernen und zu vernetzen. Ihr habt den vollen Support der Queer Pride Dresden – wenn ihr uns braucht, könnt ihr euch immer melden.
Und an alle genderqueeren Menschen: Ihr seid nicht allein. Auch wenn es sich manchmal so anfühlt, wir sind immer viele und wir halten zusammen. Niemand von uns kämpft wirklich je alleine. Ihr seid keine Belastung und nicht zu kompliziert für eure Mitmenschen. Ihr seid genug, so wie ihr seid. Eure Existenz ist wertvoll und richtig und es ist schön, dass es euch gibt!