CSD Bautzen – ein Rückblick, ein Ausblick und eine Rede

liebe Queers und Allys 

einige Tage nach dem CSD Bautzen möchten wir euch noch einmal Danke sagen: danke für euren Mut, eure Sorge, eure Solidarität! Danke für die geilen Schirmchoreos, eure Dancemoves und Sprechchöre, euer schnelles Schalten, Einmischen und Dranbleiben.

Schulter an Schulter, Transpi an Transpi, Schirm an Schirm haben wir queeres Selbstbewusstsein bewiesen!

Es wird Zeit eurer Oma zu erzählen, dass wir in der Tagesschau als auch in der taz waren, die ausgeliehenen Queer-Pride-Fahnen zurückzugeben (zum Beispiel beim unholy club am 30. August) und den Tag noch einmal in Ruhe auszuwerten. Einen Ansatz dafür bietet unser Interview im Coloradio zur Anreise und der Atmosphäre in Bautzen. Wenn ihr möchtet, könnt ihr unten ebenfalls unseren Redebeitrag nachlesen.

Wir finden: unsere Strategie hat den Nazis mehrfach den Zeitplan durcheinander gebracht und ihre Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt. Gleichzeitig konnten wir für eine sichere An- und Abreise sorgen. So war trotz der starken Mobilisierung von Rechts ein selbstbewusster CSD in Bautzen möglich. Wir hoffen, dass ihr den Tag wie wir als ein klares Signal der Solidarität der queeren Community empfunden habt. Aber wir sind natürlich auch immer offen für Kritik und Verbesserungsvorschläge.

Doch wir sollten uns nichts vormachen: für die extrem rechte Szene war der Tag kein Misserfolg. Sie konnte eine erschreckend hohe Anzahl an vorwiegend jugendlichen, männlichen, gewaltgeneigten Nazis nach Bautzen mobilisieren. Das Landratsamt hat es ermöglicht, dass sie mit ihrer Route den CSD symbolisch vor sich her jagen konnten. Und das polizeilich geduldete martialische Auftreten, teilweise von strafrechtlich relevanten Sprechchören begleitet, hat seinen massenpsychologischen Effekt auf die Klientel sicher nicht verfehlt. Wir gehen davon aus, dass sie bei nächster Gelegenheit wieder einen solchen Aufmarsch versuchen wollen – und dabei die Eskalationsschraube noch weiter drehen könnten.

Es bleibt an uns, aufmerksam zu bleiben, diese Entwicklungen im Blick zu behalten und ihnen wirksam zu begegnen – wie in Dresden am 1.6. oder in Leipzig am 17.8. Zumindest müssen wir dafür Sorge tragen, dass auch in Zukunft queere Demonstrationen und Veranstaltungen überall in Sachsen ohne Angst vor Übergriffen möglich sind. Dafür braucht es Austausch, Organisierung und Solidarität. Bleibt gerne über unsere Kanäle auf dem Laufenden und schließt euch gemeinsamen Fahrten an. Die CSD-Saison in Sachsen ist noch lange nicht vorbei!

Plauen: 24.08.
Zwickau: 31.08.
Freiberg: 07.09.
Riesa: 14.09.
Döbeln: 21.09.
Görlitz/Zgorzelec: 28.09.

Unser Redebeitrag:

An die Stadt, in der ich aufgewachsen bin.

Es ist Juli, ich sitze auf meiner Terrasse und trinke Kaffee. Beim Scrollen durch die aktuellen Nachrichten stolpere ich über einen Artikel in der Sächsischen Zeitung. Ein Bericht über einen Angriff auf den Jugendclub Kurti in meiner Heimatstadt Bautzen. „Fuck“, denke ich mir, „nicht schon wieder“. Beim Lesen des Artikels überkommen mich viele Emotionen – Traurigkeit, Mitgefühl, aber vor allem eine: Wut. Weil es nicht der erste Angriff dieser Art war, und sicher nicht der letzte gewesen sein wird. Weil das Rathaus der Stadt Bautzen immer noch nicht den Ernst der Sache erkennt. Wie viele Menschen müssen denn noch um ihre körperliche Unversehrtheit fürchten, bevor gegen die rechte Raumnahme, gegen menschenfeindliche Gewalt eingeschritten wird? Wie viele Geflüchtetenunterkünfte und Jugendclubs müssen denn noch angegriffen werden, bevor die Stadt Bautzen einsieht, dass sie ein verdammtes Naziproblem hat?!

Das Traurigste an der Sache ist, dass es mich nicht mal mehr schockiert. Schon damals, als ich noch in dieser Stadt gewohnt habe, mussten meine Freund*innen und ich wie auf Eierschalen durch die Stadt laufen. Vor allem nachts. Wie oft kam es vor, dass wir von Faschos nachts durch die Stadt gejagt wurden und uns in Parkhäusern versteckt haben, damit wir nicht verprügelt werden. Als ich einmal im Ethikunterricht meine politische Orientierung kundgetan habe, hat sich das herumgesprochen. Ein paar Tage später kam meine beste Freundin zu mir und sagte, ich solle aufpassen, was ich sage. Die Faschos hätten mich jetzt auf dem Schirm. Das ist über 10 Jahre her und lang, bevor ich mich als queer geoutet habe. Ich möchte mir nicht vorstellen, was los gewesen wäre, wenn ich mich schon damals geoutet hätte.

Erfahrungen wie diese sind schuld daran, dass ich heute mit besonderer Vorsicht durch diese Stadt laufe, wenn ich zu Besuch bin. Meine ständigen Begleiter sind Angst und die Ungewissheit, wie die Personen, die mir auf der Straße entgegen kommen, so drauf sind. Ich kann mir kaum vorstellen, wie es für die Personen ist, die hier wohnen und so tolle, stabile antifaschistische Arbeit leisten. Die sich jeden Tag davor fürchten müssen, auf dem Heimweg angegriffen zu werden. Die sich überlegen, ob sie im Ernstfall von der Polizei im Stich gelassen werden würden. Bestimmt hat man ja den Angriff provoziert, weil man ein T-Shirt mit einer eindeutigen, linksgerichteten Aussage anhatte. Wenn die Angreifer*innen allerdings verfassungsfeindliche Tattoos haben, dann zählt das hier für manche nur als Meinungsäußerung, statt als Straftat. Auf dem rechten Auge blind, es ist nix Neues.

Ich lege mein Telefon beiseite und atme tief durch. Ich fühle mich hilflos, weil es schon wieder so eine Nachricht aus Bautzen ist. Aber das muss ich hier glaube ich niemandem erzählen. Wahrscheinlich hat jede Person, die heute hier ist, sehr ähnliche Erfahrungen gemacht.

Dabei kenne ich zum Glück auch ein anderes Bautzen. Eines mit so vielen großartigen Menschen, die sich antifaschistisch und queerfeministisch organisieren. Engagierte Menschen, die sich dabei nicht von rechts ans Bein pissen lassen. Menschen wie euch, die nun schon zum zweiten Mal den CSD Bautzen organisieren, die Leute vom Jugendclub Kurti, oder vom Steinhaus. Ich feiere euch und eure Arbeit! Ich bin so dankbar dafür, dass es euch gibt und ihr euch nicht unterkriegen lasst. Ihr seid der Hammer!

Ich wünsche mir, dass über euch mehr berichtet wird. Über diese unfassbar wichtige Arbeit, die ihr hier leistet. Denn dann würde diese Stadt vielleicht endlich für andere Neuigkeiten stehen – für die Nachricht, dass sich antifaschistischer Widerstand lohnt.

Ich meine, wie geil wär das: getreu dem Motto „es gibt kein sicheres Hinterland“ drehen wir den Spieß einfach um. Wir machen den Faschos in der Stadt hier die Hölle heiß. Wir zeigen ihnen ganz eindeutig, dass sie hier nicht erwünscht sind. Die ganzen Kundgebungen und Demos dieses Jahr zeigen doch: viele Leute hier wollen die extrem rechten Umtriebe nicht weiter hinnehmen!

Zeigen wir das auch heute beim CSD. Und lasst uns das auch in 3 Wochen bei der Landtagswahl zeigen. Sofern ihr könnt, geht bitte wählen. Nutzt eure Stimme für eure queeren Mitmenschen, für POCs, für behinderte Menschen – für alle, die in der Gesellschaft so oft überhört werden. Nutzt eure Stimme für eine gerechte und soziale Zukunft.

Denn gemeinsam sind wir stärker. Mit gegenseitiger Unterstützung und Solidarität können wir uns dem anhaltenden Rechtsruck entgegen stellen. Gemeinsam werden wir zeigen, welchen Platz Queerfeindlichkeit und rechte Hetze in Bautzen verdienen – nämlich gar keinen! Die Queer Pride Dresden stand dieses Jahr unter dem Motto „Queer and antifascist – unite and resist!“. Und diesem Motto bleiben wir treu. Ihr Lieben vom CSD Bautzen, ich möchte, dass ihr wisst, dass wir euch den Rücken stärken. Wir sehen eure Bemühungen und wir feiern euch dafür. Und wir stehen an eurer Seite, wenn vom Kornmarktcenter Eier geflogen kommen. Denn je mehr Eier die auf uns werfen, desto weniger haben sie selber.

Schulter an Schulter für queere Sichtbarkeit, für queeres Selbstbewusstsein und Sicherheit!
Schulter an Schulter gegen Queerfeindlichkeit.
Schulter an Schulter gegen den Faschismus!