Am 14.11.2024 hat das Center for Monitoring, Analysis and Strategy (CeMAS) ein Research Paper über neue Neonazi-Strukturen und Queerfeindlichkeit als aktuellem Mobilisierungsthema veröffentlicht. Für Eilige: ein Interview in der Zeit gibt einen schnellen Einblick in die wichtigsten Punkte diese Analyse.
Wir schauen bereits seit einiger Zeit mit Besorgnis auf diese Entwicklungen, deren Vorboten wir beispielsweise 2022 beim CSD in Döbeln beobachten konnten. Schon im vergangenen Jahr haben wir deswegen unsere Bemühungen intensiviert, queere Demonstrationen in kleineren Städten zu unterstützen. Ganz bewusst haben wir unsere diesjährigen Aktivitäten als Queer Pride Dresden unter das Motto „QUEER AND ANTIFASCIST – unite and resist!“ gestellt.
Das neue Research Paper zu den Mobilisierungen gegen CSD-Veranstaltungen im Jahr 2024 durch rechtsextreme Jugendgruppen haben wir deswegen mit Spannung gelesen. Die Analyse der online-Aktivitäten finden wir treffend. Die aufbereiteten Daten über bundesweite rechte Anti-CSD-Demonstrationen sind eine wichtige Datenbasis für die Beobachtung rechter Aktivitäten. Im Zusammenspiel hilft das bei der Erarbeitung von Gegenstragien und politischen Forderungen.
Aus unserer Perspektive gibt es aber in beiden Bereichen auch einige Lücken, die wir gerne schließen möchten.
Zum einen sind die Zahlen bezüglich der Proteste in Sachsen unvollständig. Das liegt daran, dass CeMAS schwerpunktmäßig online beworbene Aktivitäten ausgewertet hat. Wir haben gerade einen ganzen Haufen Kleiner Anfragen aus Sachsen und diverse andere Quellen durchgewühlt, hier die Tabelle mit den Daten. Interessanterweise stellt sich dabei auch heraus, dass das Bundesinnenministerium mit seiner Angabe von 22 Protesten eindeutig am wenigsten Ahnung von der Lage hat.
So kommen wir beispielsweise auf 13 rechte Proteste in Sachsen, statt wie CeMAS auf 8. Insgesamt waren 2024 knapp 40.000 Menschen bei Pride-Versammlungen in Sachsen am Start, eine Steigerung um fast 30% im Vergleich zum Vorjahr. Zu den rechten Gegenaktivitäten konnten ca. 2.600 Personen mobilisiert werden, ein enormer Anstieg. Gab es bislang nur vereinzelte Proteste und Angriffe, beispielsweise in Pirna 2017, Döbeln 2022 und Radebeul 2023 sind nun 2/3 aller CSDs im Freistaat davon betroffen.
Auch bezüglich des Abschnitts „Gegenmaßnahmen“ wollen wir eine wichtige Ergänzung formulieren. Denn von Seiten der queeren Organisator*innen gibt es nicht nur Aufrufe nach Polizeischutz und Sicherheitstipps an die Teilnehmenden, sondern auch aktives eigenes Vorgehen. Um davon lernen zu können, sollten wir auch diese Erfahrungen bei Überlegungen zum Schutz queerer Versammlungen mit einbeziehen.
So konnten wir den Treffpunkt der Elblandrevolte bei ihrem angestrebten Protest gegen den CSD Dresden besetzen und auch deren Anreise zum CSD Bautzen durch eine Bahnsteig-Blockade verzögern. Die Polizei hätte unseres Erachtens nicht von alleine dafür gesorgt, dass Queers nicht mit Jungfaschos im gleichen Zug sitzen müssen. Dass solche Aktivitäten auch nachhaltig Wirkung erzielen, zeigt die Mobilisierung nach Görlitz einige Monate später, wo die extreme Rechte ihren Anreisetreffpunkt eine Stunde vor den Beginn des CSD gelegt hat um eine Wiederholung des Szenarios zu vermeiden. Detaillierte Einblicke zu Personal, Struktur und Aktivitäten der Elblandrevolte bietet übrigens eine frisch erschienene Analyse vom Antifa Recherche Team Dresden.
In Bezug auf Leipzig finden wir die Rolle des „Gegen-Gegenprotests“ ebenfalls relevant. Ohne die queer-antifaschistische Mobilisierung hätten die Behörden unserer Auffassung nach gegenüber den 400 Neonazis weniger einschränkend agiert und diese wohl durch die Stadt laufen lassen.
Wir sehen: es gibt Möglichkeiten für uns, die rechten Handlungsspielräume einzuschränken. Mit guter Vernetzung, umsichtiger Vorbereitung und angemessenem Auftreten kann es uns gelingen, queere Sichtbarkeit zu verteidigen, auch wenn die Behörden das Gefährdungspotential verkennen.
Weiterhin finden wir es falsch, wenn die Autor*innen im Paper insbesondere in Bezug auf den CSD Bautzen von einem „CSD-Fest“ sprechen. Für die CSDs in Pirna und Dresden mag eine solche Charakterisierung zutreffen. Für die meisten anderen queeren Demos in Sachsen stehen aber wie bei unserer Queer Pride Dresden politische Forderungen im Vordergrund. Zumindest unterschwellig rückt dieser gesellschaftskritische Anspruch mit der Bezeichnung als „Fest“ in den Hintergrund. Wir sind da aus eigener Erfahrung recht empfindlich, denn die Behörden versuchen immer wieder, öffentliche queere Präsenz zu entpolitisieren und in kommerzialisierbare Bahnen zu lenken.
Zu guter Letzt möchten wir auch auf einen Beitrag vom Antifaschistischen Monotor Berlin aus dem August zu (möglichen) Verbindungen der neuen online-Kanäle hinweisen, der DJV als Mittel einer Vorfeld-Strategie von HEIMAT/JN darstellt. Ähnliche Überlegungen äußert auch Demokratie Leben Aachen bezüglich verschiedener Instagram-Accounts. Hier scheint weitere Recherche gefragt, um die rechten Netzwerke zu durchschauen und Wege zu finden, wie ihre Mobilisierungsfähigkeiten eingegrenzt werden können.