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Zum heutigen Gedenktag haben wir an der Kundgebung am Bahnhof Neustadt teilgenommen. Wir haben uns sehr gefreut, den folgenden Redebeitrag dazu beisteuern zu dürfen:
Ich stehe hier heute für die Queer Pride Dresden, an diesem 27. Januar 20205, genau 80 Jahre nach dem 27. Januar 1945, als Soldat*innen der roten Armee das KZ Auschwitz Birkenau in Auschwitz, nahe des heutigen Oswiecim befreiten.
Natürlich spreche ich hier als queere Person, aber auch als Antifaschistin.
Im Oktober 1934 wurde das Gestapo-Sonderdezernat Homosexualität in Berlin geschaffen, welches ab diesem Zeitpunkt systematisch der Homosexualität verdächtigte Männer erfasste. 1940 umfasste diese Kartei bereits 40.000 Männer. Die Verfolgung weiblicher Homosexualität wurde diskutiert, aber nie in Rechtsform gegossen. Viele Frauen, die der Homosexualität verdächtig waren, wurden letztlich unter dem Vorwurf „asozial“ verfolgt, es ist davon auszugehen, dass für andere queere Menschen andere Gründe gefunden wurden.
Das Innenministerium erbat sich 1934 von Sachsen, die Personalien von Männern zu übersenden, die gegen den 175er verstoßen hatten. 196 Personen wurden zwischen 1933 und 1945 wegen Homosexualität verurteilt und inhaftiert. Wir wissen wenig über die meisten von Ihnen. Im Buch „Dresden queer durchs Jahrhundert“ heißt es, sie waren Oberbürgermeister, Kaufmänner, Juristen, Bäcker Tischler, Opernsänger und viele mehr.
Die Spur von vielen verliert sich. Wer waren sie, was sind ihre Geschichten? Was sind die Geschichten derjenigen Queers, die sich nicht auf diesen Listen finden, die dennoch verfolgt, vertrieben und ermordet wurden?
Aber diese Rede hier dreht sich nicht nur um die Vergangenheit. Letztes Jahr im September besuchte ich gemeinsam mit anderen Queers die Gedenkstädte Sachsenhausen, nahe Oranienburg. Wie alle Besuche in Gedenkstätten ein eindrücklicher Moment, einer der in mir immer wieder Trauer, Wut, Bestürzung und blankes Entsetzen auslöst. Im KZ Sachsenhausen waren besonders viele Menschen inhaftiert, die als Homosexuelle, also mit dem §175 verfolgt wurden. 1942 fanden im KZ Außenlager „Klinkerwerk“ gezielte Massentötungen dieser Menschen durch die nationalsozialistischen Mörder statt.
Was aber besonders eindrücklich an diesem Tag für mich war, neben der Trauer, der Wut, der Ohnmacht, dem Gedenken, den Reden – und der wirklich stabilen Haltung des Gedenkstättenleiters, das sei hier auch erwähnt – war der direkte Übergang nach der Gedenkveranstaltung zum CSD Oranienburg. Wir sind also mit einem Bus in die Stadt gefahren und sahen uns dort als bunter und lauter CSD einem Haufen Faschist:innen und Nazis gegenüber. Die Nazis kamen zwar lächerlich daher, aber waren deswegen nicht weniger besorgniserregend ist. Wie in Bautzen, Radebeul und sogar in Dresden, hatten die Nazis auch nach Oranienburg mobilisiert, um ihre queerfeindliche Hetze beim CSD in die Welt zu tragen.
Wie soll ich also diese Dinge erzählen, ohne krude historische Vergleiche zu ziehen?
Für mich und für uns als Queer Pride Dresden ist eines klar: Wer dem menschenverachtenden Treiben heutiger Nazis etwas entgegensetzen will, der muss dies auf der Grundlage historischen Wissens tun, und dies lehrt uns eines: Antifaschismus und queere Kämpfe, das gehört zusammen!
Es gab sie, die schwulen Nationalsozialisten wie Röhm, es gibt auch heute lesbische Rechtsradikale – lesbisch, schwul oder auch trans sein allein, das heißt nicht, dass jemand an unserer Seite steht. Queer sein ist für uns mehr, als gleichgeschlechtlich zu lieben oder die eigene Identität selbstbestimmt zu wählen. Es ist für uns ein Tun, ein Handeln, ein Prozess, eine Infragestellung des gesellschaftlichen Status quo.
An diesem heutigen 27.1. will ich also an genau das erinnern – dass es eine antifaschistische Grundhaltung braucht. Kein „Nie wieder!“ als Phrase, sondern als Verpflichtung. Damit „Nie wieder!“ nicht nur heute ist, sondern „Nie wieder!“ auch für die Zukunft bleibt.
Im Gedenken an alle Opfer menschenverachtender Hetze – gestern und heute.